Zur Betrachtung der Heilsgeschichte - Das mittelniederdeutsche Stundenbuch Cod. 1117
Das um 1500 in Köln entstandene Stundenbuch vereint betrachtende Gebete für Laien mit prachtvoller niederländischer Renaissance-Malerei.
Stundenbücher sind Andachtsbücher für den Gebrauch von Laien. Sie entstanden in Analogie zu den Tagzeitenbüchern (Breviarien) des Klerus, dienten aber in erster Linie der persönlichen Betrachtung der Heilsgeschichte. So enthielten sie neben einzelnen Psalmen vor allem Marien- und Totenoffizien, Gebetsstunden zur Passion Christi, zum Heiligen Geist und weitere betrachtende Gebete. Da sie meist von Adligen in Auftrag gegeben wurden, stattete man die Stundenbücher seit dem 14. Jahrhundert mit zunehmend kostbarerem Buchschmuck aus (fol. 7v).
Auch das Stundenbuch Cod. 1117 der Diözesanbibliothek steht in dieser Tradition; es ist mit Malereien von überwältigender Schönheit ausgestattet. Die sieben Gebetszyklen der kleinformatigen Handschrift werden jeweils durch ganzseitige Miniaturen eingeleitet, die von einem mit Blüten und Blattranken verzierten Rahmen umgeben sind – so etwa die Miniatur mit der Verkündigung am Beginn der Marianischen Horen (fol. 7v). Gegenüberstehend (fol. 8r) und im Text selbst finden sich 17 weitere halbseitige Miniaturen in Deckfarbenmalerei. Am Beginn der einzelnen Tagzeiten stehen mehrzeilige historisierte oder aus Ornamenten gebildete Initialen mit aufwändigem Randschmuck. Der gezielte Einsatz von Gold hinterlässt beim Betrachter bzw. Beter dabei einen überaus prachtvollen Eindruck.
Die anonym gebliebenen Künstler waren wohl Wandermaler aus der nordniederländischen „Werkstatt des Meisters der schwarzen Augen“, die auch an zahlreichen anderen Stundenbüchern mitgewirkt haben. Ihre unterschiedliche Schulung lässt sich im Detail erkennen. Die Akanthusranken bei der Verkündigungsszene sowie bei der Miniatur mit Maria und Elisabeth (fol. 15r) etwa sind Elemente des neu aufkommenden grotesken Stils.
Mit einem eher traditionellen Streublumenrahmen ist dagegen die Anbetung der Drei Könige (fol. 27r,) unterlegt.
Der Text des Buches wurde um das Jahr 1500 durch Heinrich Zonsbeck niedergeschrieben, einen Mönch der Benediktinerabtei Groß St. Martin zu Köln. Die Sprache – ein gelderländischer Dialekt des Westniederdeutschen – wurde sowohl im niederrheinischen wie niederländischen Raum verstanden und lässt den wohl adligen Auftraggeber in ebendieser Region vermuten. Im 18. Jahrhundert war das Stundenbuch im Besitz eines Abbé Bignon, Bibliothekar des französischen Königs. Vielleicht kam es in dieser Zeit zu jenem deutlich sichtbaren Wasserschaden in der Darstellung der Flucht nach Ägypten, durch den die Malfarben teilweise verwischt wurden (fol. 32r). Wer immer danach die Notwendigkeit sah, wenigstens die Konturen der Gesichter und Personen mit schwarzen Linien nachzuzeichnen, hat der Kunst damit allerdings keinen großen Gefallen getan.