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Im Schatten von Sankt Ursula – Die „Makkabäer-Handschrift“ Cod. 271

Handschrift des Monats Oktober 2022
Datum:
1. Okt. 2022
Von:
Dr. Harald Horst
Besondere Handschriften wurden auch noch lange nach der Erfindung des Buchdrucks hergestellt. Die prachtvoll verzierte Makkabäer-Handschrift von 1525 sollte helfen, der Wallfahrt nach St. Ursula Konkurrenz zu machen.
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Nach der Eroberung von Mailand im Jahr 1164 brachte Erzbischof Rainald von Dassel bekanntermaßen die Reliquien der Heiligen Drei Könige nach Köln. Einer später aufkommenden Legende nach sollen auf diesem Weg aber noch weitere Reliquien nach Köln gekommen sein – darunter jene der sieben Makkabäer-Brüder (Cod. 271, fol. 3v). Sie seien in eine Kapelle auf dem Greesberg nahe der Eigelsteinpforte gebracht worden, damit man sie dort gebührend verehren könne.

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Das Martyrium der sieben jüdischen Brüder und ihrer Mutter ist im zweiten Buch der Makkabäer nachzulesen, einem nur in der Septuaginta, der griechischen Fassung des Alten Testaments, enthaltenen Werk. Hintergrund der weitgehend authentischen Darstellungen ist der Kampf der gläubigen Juden gegen die Seleukiden, die im zweiten vorchristlichen Jahrhundert Judäa beherrschten. Besonders König Antiochus IV. († 164 v. Chr.) versuchte, das neu eroberte Land durch die Einführung hellenistischer Denk- und Lebensweisen stärker an das Seleukidenreich zu binden. Eine Schändung des Jerusalemer Tempels und seine Weihe an Zeus, die radikale Einschränkung jüdischer Gebräuche sowie der Zwang, an heidnischen Riten teilzunehmen, führte ab 167 v. Chr. zum – letztlich erfolgreichen – Aufstand der Juden unter Führung der sogenannten Makkabäer (fol. 7v).

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Nach der Schilderung in Kapitel 7 des zweiten Makkabäerbuchs sollen sich in diesem Zusammenhang sieben Brüder geweigert haben, gemäß der Weisung des Antiochus Schweinefleisch zu essen, da dies ihr Glaube verbiete. Daraufhin seien sie vor den Augen ihrer Mutter gegeißelt, grausam verstümmelt und bis zum Tod in heißem Öl gebraten worden (fol. 39r). Durch ihr tapferes Festhalten an den Geboten Gottes und vor allem wegen ihres Bekenntnisses zur Auferstehung wurden diese jüdischen Märtyrer und ihre Mutter schon früh auch im Christentum als Heilige verehrt. Ihr Martertod wurde zudem in etlichen Kunstwerken mit dem Leiden Christi parallel gesetzt. 

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 Der Kult der Makkabäer an der besagten Kapelle in Köln ist – entgegen der oben erwähnten Legende – bereits seit dem Jahr 1134 nachgewiesen. Gegen 1178 wurde dort ein Benediktinerinnenkloster errichtet und die Kirche neugebaut, deren Chor 1228 geweiht wurde. Das Machabäerkloster – so die kölnische Schreibweise – wurde jedoch 1462 durch einen Brand zerstört. Sein Wiederaufbau ging in bewusster Konkurrenz zum nahegelegenen Stift St. Ursula mit einer Erneuerung des Makkabäerkultes einher. Treibende Kraft war der seit 1491 als Rektor und Beichtvater des Klosters wirkende Helias Mertz aus Düren. Er ließ die Makkabäerlegende in Drucken verbreiten und die Makkabäer auf dem Titelblatt von Kölner Missaledrucken darstellen. Zusammen mit dem Werdener Abt Johannes von Groningen, dem Kommissar des Benediktinerinnenklosters, stiftete er einen Bildzyklus und ließ einen neuen Reliquienschrein anfertigen (fol. 2r).

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Höhepunkt der Werbemaßnahmen des Helias Mertz war jedoch die Erstellung dieser Handschrift mit Texten zur Geschichte und Verehrung der Makkabäer. Flavius Josephus, Johannes Chrysostomus, Hrabanus Maurus, Erasmus von Rotterdam, Ortwin Gratius und Johannes Cincinnius (fol. 13v) sind nur einige der illustren Schriftsteller und Theologen, von denen Texte, Kommentare, Briefe oder Gutachten in die Sammlung aufgenommen wurden. Dabei schreckte Mertz offenbar auch nicht vor Urkundenfälschung zurück, um die angebliche Frühgeschichte des Klosters zu belegen.

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Die prachtvolle Ausstattung der 1525 fertiggestellten Handschrift mit Miniaturen, Streublumenrahmen und goldverzierten Initialen spielt bewusst auf die Gestalt verehrungswürdiger liturgischer Bücher an (fol. 119r). Die Form eines Pergamentcodex in der Zeit des längst dominierenden Buchdrucks sollte aufmerksam machen auf den besonderen Wert der darin versammelten Dokumente. Wie ein Evangeliar sollte die Prachthandschrift an Feiertagen auf dem Hochaltar präsentiert werden und die Authentizität der Makkabäer-Reliquien und ihres Kultes belegen. Der Plan ging auf: Die Wallfahrt zu den heiligen Makkabäern wurde wiederbelebt und lief zeitweise sogar jener zur hl. Ursula und ihren Gefährtinnen den Rang ab. Das Kloster erhielt derart viele Stiftungen, dass die Kirche schon von Zeitgenossen als reich ausgestattetes, einheitlich konzipiertes Gesamtkunstwerk bewundert wurde.