Farbenfrohe Malerei für den Privatgebrauch – Das mittelniederdeutsche Gebetbuch Cod. 1588
Stundenbücher sind meist hochwertig künstlerisch ausgestattet, bei privaten Gebetbüchern dagegen schwankt die Qualität der Buchmalerei. Ein etwas derb geratenes Beispiel aus der Renaissance steht stellvertretend für dieses Genre.
Gebetbuchhandschriften sind seit dem frühen Mittelalter überliefert. Der Begriff Gebetbuch ist allerdings sehr weit gehalten und umfasst Psalterhandschriften, lateinische Gebetskompendien, Stundenbücher, aber auch Privatgebetbücher in der Volkssprache wie das hier vorgestellte. Gerade diese weisen inhaltlich einen besonderen Variantenreichtum auf – kaum ein Gebetbuch gleicht mit seinen Texten dem anderen, und auch ihre künstlerische Ausstattung ist sehr unterschiedlich. Während Stundenbücher in der Regel mit aufwändigen Illuminationen versehen sind, ist unter den fünf deutschprachigen Gebetbüchern der Diözesanbibliothek mit Cod. 1588 nur ein einziges bebildert. (fol. 12v)
Wie in liturgischen und paraliturgischen Büchern üblich, beginnt das Gebetbuch Cod. 1588 mit einem Kalendarium der Fest- und Gedenktage. Es enthält die für Köln typischen Feste wie St. Pantaleon, St. Gereon, St. Severin, St. Kunibert sowie St. Ursula und die elftausend Jungfrauen. Die Monatsnamen sind in Latein und der kölnischen Volkssprache, dem sogenannten Ripuarischen, genannt. Der Juni etwa wird mit „Braemaent“, also Brachmonat bezeichnet (fol. 5r).
Die Gebetstexte beginnen mit einem betrachtenden Zyklus zum Leiden Christi. Die erste bebilderte Doppelseite zeigt allerdings zunächst die Erschaffung von Mann und Frau (oben fol. 12v - 13r), wobei in diesem Kontext sowohl der Sündenfall als auch die Erlösung durch das Leiden Christi mitschwingen. Die Miniaturen zum Leben Jesu setzen ein mit der sogenannten Darbringung Jesu im Tempel (früher auch als Mariä Reinigung oder Mariä Lichtmess bezeichnet), die vom begleitenden Gebetstext als Unterwerfung des Gottessohnes unter das Gesetz gedeutet wird (fol. 17v).
Zehn der insgesamt 24 Miniaturen des farbenfroh ausgestatteten Büchleins illustrieren das Passionsgeschehen. Ihre Figuren sind in die typische Kleidung der Renaissance gehüllt, auch die Rahmung und Bildgestaltung übernimmt Elemente der zeitgenössischen Buchmalerei wie etwa einen Faun (fol. 24r). Bisweilen umrahmen ausgelassen spielende Putten das Bild, als ginge sie das dramatische Geschehen nichts an. Bei der Verhöhnung Christi durch römische Soldaten scheinen sie sogar deren spöttischen Tanz einschließlich musikalischer Begleitung aufzunehmen (fol. 47v). Es bleibt offen, ob hier menschliche Unbedarftheit zur Schau gestellt werden soll.
Auf den Passionszyklus folgen Gebete zum liturgischen Geschehen und zu Heiligen, von denen einige auch im Bild dargestellt sind, sodann eine Seelenmesse und ein Beichtspiegel. Besondere Beachtung verdient eine Darstellung des Fronleichnamsfestes (fol. 84v). Hier steht ein Geistlicher mit dem Rücken zum Altar und hält eine große Schaumonstranz mit der Hostie, während zwei Diakone in kostbaren Gewändern Weihrauchfässer oder Glocken schwenken. Im Rahmen wird – in Anspielung auf das Geschehen beim Volk Israel in der Wüste – gezeigt, wie Manna vom Himmel fällt, das wiederum von Putten in Körben gesammelt wird. Der Triumphzug am unteren Rand könnte als antikisierende Anspielung auf die Fronleichnamsprozessionen gedacht sein.
Insgesamt wirkt die Buchmalerei eher derb, ungelenk und bisweilen karikierend, benutzt aber die verbreiteten Sujets der Zeit und verleiht durch ihre kräftigen Farben dem Gebetbuch eine durchaus kostbare Anmutung. Laut Kolophon (fol. 134r) wurde es gemalt und „geschrieben im Jahr 1535, als Kaiser Karl V. regierte.“ Im Jahr 1547 gehörte es gemäß Besitzeintrag (fol. Ar) einem Johann van Beul, Bürgermeister von Oedt am Niederrhein; weitere Vorbesitzer sind nicht bekannt. Erst 1995 wurde es von der Diözesanbibliothek in einem Antiquariat erworben.