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Drachenzähmen leichtgemacht? Ein prachtvolles Antiphonar von Frauenhand für das Kölner Domkapitel (Cod. 267)

Handschrift des Monats Juni 2025
Datum:
1. Juni 2025
Von:
Amelie Paulsen B.A.; Dr. Harald Horst
Diese illuminierte liturgische Handschrift wurde im 14. Jahrhundert für das Kölner Domkapitel hergestellt. Über und über verziert mit vergoldeten Initialen und Rankenstäben, finden sich auch immer wieder kleine Drachen an den Rändern. Der Stil deutet auf das Kölner Klarissenkloster als Ursprungsort.
Cod-0267_088r

Bei diesem Codex handelt es sich um den Sommerteil eines Antiphonars, das die liturgischen Gesänge zum Chorgebet außerhalb der Messe enthält. Es reicht vom Pfingstfest bis zum Ende des Kirchenjahres (fol. 88r-348v); ein dazugehöriger Winterteil ist wohl verloren gegangen. Zur einfacheren Handhabung wurde dem Abschnitt mit den Festtagen ein Psalterium vorangestellt, das um häufig gebrauchte liturgische Gesänge erweitert wurde (fol. 13r-87v). Wohl zwischen 1340 und 1350 hergestellt, war die fast 400 Blatt umfassende Handschrift über mehrere Jahrhunderte im feierlichen Chorgebet des Kölner Domkapitels in Gebrauch. Daher finden sich an verschiedenen Stellen Ergänzungen aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die das Buch an den aktuellen Stand der Liturgie anpassen sollten.

Cod-0267_038v

Sicherlich am eindrucksvollsten ist jedoch seine reiche Verzierung (fol. 38v). Nicht weniger als fünfzehn prachtvoll illuminierte und mit Blattgold belegte historisierte Initialen schmücken den früheren Teil der Handschrift; eine weitere Initiale (fol. 330v) wurde herausgeschnitten und fehlt heute. Fast jede Seite ist verziert mit von Fleuronnée umrankten Lombarden in Rot und Blau sowie mit schwarz gezeichneten Cadellen mit Blattzier, roter Strichelung oder Karikaturen in Form von Gesichtern. Weitere Zierinitialen in den später hinzugefügten Teilen sind mehrfarbig mit Fleuronnée-Elementen gestaltet, jedoch viel schlichter gehalten. Dies entspricht den Stilvorstellungen des frühen 16. Jahrhunderts, die deutlich zu den älteren Zierinitialen im Stil der Hochgotik kontrastieren. 

Cod-0267_072v

Die Gotik, die viele Menschen mit der Errichtung lichtgefluteter, hoher Kirchen assoziieren, hinterließ auch einen Großteil der illuminierten Handschriften des Mittelalters. Typisch sind die genannten historisierten Initialen mit Ranken, die bis zu den Blatträndern auslaufen und mit Efeu- oder Eichenblättern und Drolerien – kleinen lustigen Szenerien – geschmückt sind. In diesem Codex finden sich neben kleinen Drachen vor allem Vögel im bunten Federkleid, aber auch die Köpfe von Hunden sind in einigen Details zu erkennen. Die Darstellungen in den Initialen nehmen meistens direkt Bezug zum Inhalt der folgenden Psalmen oder Gesänge. Denn im Gegensatz zu Gradualien, die eher auf den jeweiligen Festtag Bezug nehmen, ist der motivische Kanon in Antiphonaren nicht so streng festgelegt. In Cod. 267 finden sich daher oftmals Darstellungen von Christus oder König David mit ausdeutenden Attributen. Ausschlaggebend für die Zuordnung zum Kölner Klarissenkloster waren jedoch die erwähnten Drachenmotive, die sich u.a. auf fol. 72v finden. Diese sind typisch für das Klarissenkloster und ähneln den Malereien des Rennenberg-Codex (Cod. 149), der hier in einem früheren Beitrag bereits behandelt wurde (Handschrift des Monats März 2021).

Cod-0267_029r

Das Skriptorium der Klarissen war im 14. Jahrhundert aktiv und ist bekannt für seine liturgischen Bücher, die mit aufwendiger Buchmalerei versehen sind. Dazu gehören auch zahlreiche illuminierte Initialen mit teils historisierten Motiven sowie Rankenstäbe mit Blattwerk und Fabelwesen, besonders den genannten Drachen (z.B. auf fol. 29r, 72v und 171r). Sie stellten beispielsweise auch das Graduale für die Dominikanerinnen in St. Gertrud (Cod. 1150) her, das ebenfalls bereits in dieser Kolumne vorgestellt wurde (Handschrift des Monats Dezember 2021). Beliebt waren auch kleine Nonnenfiguren am Rande, die manchmal von den Schreiberinnen oder Malerinnen des Werkes „signiert“ wurden, wodurch einige Namen der Klarissen bekannt sind. Hierzu gehört u.a. Loppa vom Spiegel, die den Codex A 172 der Schwedischen Nationalbibliothek im Jahre 1350 anfertigte und auf fol. 106v ihren Namen hinterließ. Der vorliegende Codex wurde wohl zu ihrer Wirkungszeit in der Mitte des 14. Jahrhunderts hergestellt, der Qualität der Malerei und weiteren Details nach zu urteilen jedoch nicht von ihr selbst, sondern von ihren Mitarbeiterinnen.

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Hilfreich waren bei der Zuordnung auch die sogenannten Kryptosignaturen, d.h. kleine Zeichen in den Malereien, die typisch für eine Künstlerin sind. Sie wurden erstmals 1998 von Renate Mattick benannt und von Johanna Gummlich wiederholt aufgegriffen und erweitert. Die Kryptosignaturen Nr. 4 und 5 – rote Scheiben mit weißen Punkten bzw. T-Verzierung – finden sich in Details der Rankenstäbe von Cod. 267 (z.B. auf fol. 20r und 72v). Sie deuten auf die Beteiligung von zwei verschiedenen Malerinnen hin, die sich die Arbeit wohl untereinander aufteilten. Auch andere Codices, besonders das Breviarium Ms. C 60 aus der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, tragen diese Merkmale. Die Kryptosignaturen, aber auch Übereinstimmungen im Bildprogramm zeigen, dass sie vermutlich auf eine gemeinsame Vorlage zurückgehen.

Cod-0267_360r

Der Codex wurde über mehrere Jahrhunderte durch die Kantoren und Scholaster des Kölner Domkapitels verwendet, worauf zunächst zahlreiche Namenseinträge aus dem 17. Jahrhundert auf den vorderen und hinteren Blättern des Codex hindeuten. Zudem ist die Handschrift stark abgenutzt, an vielen Stellen ist die Malerei verwischt oder es wurde neues Pergament angefügt. An verschiedenen Stellen finden sich Ergänzungen, die von mehreren Händen stammen und aus dem späten 15. Jahrhundert datieren, so etwa von fol. 348v bis 359r. Ab fol. 360r findet sich ein Anhang, der schon ins 16. Jahrhundert gehört. Die Zierinitialen sind nun nicht mehr vergoldet und verfügen über keine Rankenstäbe mehr. Die blau-rot gespaltenen Initialen tragen im Binnenfeld gerollte Blätter und Rankenwerk vor grünem Hintergrund; einfaches rotes Fleuronnée schmückt ihre Rahmung und erstreckt sich nach oben und unten entlang des Schriftspiegels. Diese Initialen sind typisch für die Fraterherren am Weidenbach, die im 15. und 16. Jahrhundert eine der produktivsten Schreib- und Malwerkstätten Kölns stellten und gerne für solche Ergänzungsarbeiten herangezogen wurden. Im Jahr 1628 erhielt der Codex zudem einen neuen Einband mit ursprünglich hellem Leder über Holzdeckeln. Die aufgeprägten Blüten- und Blattranken gehören, wie schon die Jahreszahl angibt, nun zur Renaissance und verdeutlichen einmal mehr, dass dieses liturgische Buch auch nach gut drei Jahrhunderten noch in Ehren gehalten wurde.

Text: Amelie Paulsen, Köln / Harald Horst, EDDB Köln

Digitalisate der Handschrift und weitergehende Informationen können jederzeit über die Digitalen Sammlungen der Diözesanbibliothek abgerufen werden: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:kn28-3-3605.

 

Abbildungen:

Cod. 267, fol. 88r: Initiale „U[eni Sancte Spiritus]“ zur ersten Vesper des Pfingstfestes

Cod. 267, fol. 38v: Initiale „E[xultate Deo]“ mit einem Glockenspieler zu Beginn von Psalm 80

Cod. 267, fol. 72v: Initiale „P[lacebo Domino]“ mit Randstäben und Drachen

Cod. 267, fol. 29r: Initiale „D[ixit insipiens]“ mit Blatterk und Fabelwesen

Cod. 267, fol. 20r: Kryptosignatur in Form einer roten Scheibe mit weißen Markierungen (hier T) bei der Initiale „D[ominus illuminatio mea]“

Cod. 267, fol. 360r: Initiale „S[unt de hic]“ zum Fest der Verklärung Christi (6. August), Erweiterung des 16. Jahrhunderts im Stil der Fraterherren

 

Ansprechpartner:

Herr Dr. Harald Horst
Telefon: 0049 221 1642 3796 

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