Zwei Domherren stiften ein Graduale (Cod. 229)
Kunstvoll ausgeschmückte Messgesänge: Zwei Domherren stiften ein Graduale
Zwei Kölner Domherren, Angehörige des Hochadels, stifteten Ende des 15. Jahrhunderts zusammen ein Chorbuch für die hl. Messe – es dauerte fast zwanzig Jahre bis zu seiner Fertigstellung.

Das kostbar ausgestattete Graduale Codex 229 der Kölner Dombibliothek wurde, wie ein Eintrag auf dem Vorblatt angibt, am 1. April 1498 fertiggestellt und von zwei Domherren gestiftet. Die Stifter sind namentlich genannt und mit ihren Wappen vertreten, die sie als Angehörige des Hochadels ausweisen (Vorblatt verso). Es handelt sich um Stephan I. von Bayern, den gegen 1481 verstorbenen Schatzmeister des Kölner Doms, sowie um Johann II. von Reichenstein, Domherr seit 1452 und seit 1493 Subdekan des Domkapitels († 1511). Stephan von Bayern hat die Fertigstellung der Handschrift wohl nicht mehr erlebt. Vermutlich verfügte er zusammen mit Johann von Reichenstein diese Stiftung, für deren Erfüllung jener allerdings fast zwanzig Jahre benötigte. Zahlreiche weitere Namenseinträge am Ende der Handschrift belegen immerhin, dass der Codex in der Kölner Domliturgie bis ins 19. Jahrhundert hinein verwendet wurde.

Das Graduale als in der hl. Messe verwendetes Buch hat seinen Namen von einem Antwortgesang nach der Lesung. Der Kantor, der diesen Gradualgesang vortrug, stand dabei ursprünglich auf den Stufen (lateinisch: gradus) zu einem erhöht platzierten Lesepult. Ein Graduale als Buch enthält aber nicht nur diesen Antwortgesang, sondern auch den Eingangsvers der Messe (Introitus), verschiedene Alleluia-Verse, das Offertorium zur Gabenbereitung und die Communio zum Empfang der hl. Kommunion. Außerdem hält es Melodien für Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und Agnus Dei sowie Sequenzen bereit (hier fol. 274r). Die als Gregorianischer Choral bezeichneten Gesänge werden noch heute vor allem in der Liturgie von Kathedral- und Klosterkirchen gepflegt.

Der Buchschmuck des voluminösen, 354 Blätter umfassenden Cod. 229 hebt insbesondere die Hochfeste mittels reich verzierter Initialbuchstaben und Seitenränder hervor. Schon ganz im Stil der Renaissance schmücken bunte Blattranken die Ränder, zieren Blütenschmuck und Blattausläufer einzelne Initialen, wie hier das M(ihi autem) zum Fest eines Apostels (fol. 211v).

An den wichtigeren Festen sind die Binnenfelder der Initialen historisiert, also mit einer Handlung versehen, während die Spiegelrahmung der Gegenüberstellung von alt- und neutestamentlichen Szenen dient. So wird in der R-Initiale des Ostersonntags die Auferstehung Christi dargestellt, während am unteren Blattrand Samson mit den Stadttoren von Gaza sowie der Prophet Jona, vom Wal ausgespien, zu sehen sind (fol. 124v). Die alttestamentlichen Szenen sind damit als typologische Gegenüberstellung zur Auferstehung konzipiert.

Die A-Initiale zum Beginn des Graduales am 1. Adventssonntag (fol. 1r) stellt die Erfüllung alttestamentarischer Begebenheiten durch Christus sogar in ihren Binnenfeldern selbst dar: Im oberen Teil des Buchstabens sieht man, wie die Königin von Saba in Jerusalem König Salomo huldigt. Im unteren Teil, durch den Balken des A getrennt, huldigen die Heiligen Drei Könige dem neugeborenen Jesus. Der Buchmaler – das war zu dieser Zeit allen Betrachtern bewusst – spielt damit deutlich auf Psalm 72, Vers 10 an: „Die Könige von Tarschisch und von den Inseln bringen Geschenke, die Könige von Saba und Seba kommen mit Gaben.“