"Über das Seelenkloster" in einer Handschrift aus Hohenbusch (Cod. 1008)
Vom Seelenkloster zur Tischlesung: Ein Schreiber aus Hohenbusch und seine Ämter
Das Büchlein „Über das Seelenkloster“ eines französischen Geistlichen gehörte zu den meistgelesenen Werken des Mittelalters. In Hohenbusch bei Erkelenz wurde es um 1470 abgeschrieben – von einem Schreiber, dessen „Doppelleben“ jetzt gelüftet werden konnte.

Am südwestlichen Rand der niederrheinischen Stadt Erkelenz liegt Haus Hohenbusch – heute ein beliebtes Ausflugsziel mit Café und viel Raum für kleine und größere Veranstaltungen, ein außerschulischer Lernort zu Regionalgeschichte und Naturkunde. Von 1302 bis 1802 aber stand dort eine der bedeutendsten und wohlhabendsten Niederlassungen des belgisch-niederländischen Kreuzherrenordens. Von ehemaligen Kreuzrittern zu Beginn des 13. Jahrhunderts in der Nähe von Lüttich gegründet, breitete sich dieser Orden rasch im heutigen Belgien und Frankreich aus. Die erste Gründung im Westen Deutschlands erfolgte im Jahr 1298 in Wuppertal-Beyenburg. Hohenbusch bildete 1302 demnach die zweite deutsche Niederlassung der Kreuzherren, Köln folgte 1307. Bis um 1500 gehörten insgesamt 66 Klöster zu diesem Orden.

In seiner Blütezeit war der Kreuzherrenorden stark von der „Devotio moderna“ beeinflusst, einer geistlichen Erneuerungsbewegung, die auf eine sehr persönliche und innerliche Frömmigkeit setzte und vornehmlich aus der Betrachtung des Lebens Jesu schöpfte. Die „Nachfolge Christi“ des Thomas von Kempen, 1427 erstmals erschienen, ist das berühmteste Erbauungsbuch dieser Schule. Zum spirituellen Programm der Devoten gehörte auch Handarbeit, und hier insbesondere das Schreiben von Büchern. In einigen Gemeinschaften wie etwa bei den Fraterherren wurde dies derart perfektioniert, dass man vom Schreiben oder Ausmalen von Büchern sogar leben konnte. In Hohenbusch schrieb man zwar auch recht fleißig, doch eher für den Hausgebrauch; die dort entstandenen Handschriften waren dementsprechend künstlerisch nicht sehr anspruchsvoll gestaltet, wie dieses Beispiel zeigt (Cod. 1008, fol. 1v).

Immerhin hinterließen einige der Schreiber ihre Namen. In Cod. 1008 der Kölner Diözesanbibliothek etwa signiert auf der letzten Seite ein „Frater Rabanus, Konventuale dieses Hauses zu Hohenbusch“ (conventualis huius domus altinemoris) (fol. 109v). Man weiß sonst kaum etwas über diesen Kreuzherren – er sei Priester gewesen, wird anlässlich seines Todes im Jahr 1486 vermerkt. Die Handschrift Cod. 1008 ist mit 1470 datiert; eine weitere Handschrift aus Hohenbusch (Cod. 1027) weist einen ähnlichen Schreibstil in gotischer Hybrida libraria auf, ist aber nicht signiert.

Das in Cod. 1008 abgeschriebene Buch „Über das Seelenkloster“ (De claustro animae) stammt von Hugo de Folieto, einem Augustiner-Chorherren aus der Nähe von Corbie an der Somme (fol. 1r). Als Prior einer zunächst nur kleinen Gemeinschaft im 12. Jahrhundert – er starb 1173 – fühlte er sich der Armut und Askese verpflichtet. Das „Seelenkloster“ hat sich in über 400 Handschriften des hohen und späten Mittelalters erhalten – es wurde sozusagen zum Klassiker der reformorientierten Gemeinschaften.

Hugo beschreibt darin zunächst das Leben im Kloster, seine Regeln wie auch seine Verfehlungen, um dann in einer allegorischen Auslegung die Seele mit einem Klosterbau zu vergleichen. Im vierten Teil des Traktats geht die Seele schließlich in das himmlische Jerusalem ein, das – wie könnte es anders sein – einem Kloster ähnelt. Wie in vielen anderen Handschriften schließt Frater Rabanus hier noch, thematisch passend, Hugos nicht weniger bekannte Schrift über die heuchlerischen Mönche an (De hypocritis) (fol. 99r).

Bei der Aufarbeitung der ehemaligen Klosterbibliothek von Hohenbusch fiel auf, dass Frater Rabanus ein bestimmtes, auf die Zisterzienser zurückgehendes System der Zeichensetzung gebraucht. Die gleichen Zeichen tauchen in einem Frühdruck aus dem Jahr 1478/80 auf, dem Bonum universale de apibus des Thomas von Cantimpré – nun allerdings nicht als Satzzeichen, sondern zur Markierung von Wort- und Satzmelodie (Inc.d.59, Bl. e2). Es handelt sich hier also um die Aufbereitung dieses Buches für den Tischleser, der während der schweigend eingenommenen Mahlzeiten der Kreuzherren für deren geistliche Unterweisung zu sorgen hatte. Die Präparation der jeweiligen Texte erfolgte zuvor durch einen als Schreiber geschulten Konventualen, den corrector in mensa. Dank seiner charakteristischen Zeichensetzung darf man nun vermuten, dass in Hohenbusch Frater Rabanus auch dieses Amt innehatte – und für die Gemeinschaft somit doppelt wichtig war.