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Manche mögen's exklusiv – Das Missale der Maria-Magdalena-Bruderschaft in Köln (Cod. 257)

Handschrift des Monats Oktober 2023
Datum:
1. Okt. 2023
Von:
Dr. Harald Horst
Die religiösen Laienbruderschaften des Mittelalters sorgten für ein regelmäßiges Gedenken ihrer verstorbenen Mitglieder im Gottesdienst. Die Maria-Magdalena-Bruderschaft in Köln besaß nicht nur eine eigene Kapelle mit Altarschmuck und liturgischen Geräten, sondern auch ein Messbuch, das niemand sonst benutzen durfte.
Cod-257_011r

Im vergangenen Monat wurden an dieser Stelle die beiden Amtsbücher der Maria-Magdalena-Bruderschaft an St. Laurenz in Köln vorgestellt, die Codices 243 und 422 der Kölner Dombibliothek (Handschrift des Monats September 2023). Die genannte Gemeinschaft, eine von vielen religiösen Laienvereinigungen des ausgehenden Mittelalters, zählte zu den finanziell bessergestellten Bruderschaften in Köln: In der Kirche St. Laurenz, einst gegenüber dem Rathaus gelegen, besaßen die Mitglieder sogar eine eigene Kapelle, was auch aus der Bezeichnung „up dem Gewolve“ – auf der Empore – hervorgeht. Für die dort gefeierten Gottesdienste gab es offensichtlich auch eigenes liturgisches Gerät: Messkelche, Altarschmuck und vor allem Bücher. (Cod. 257, fol. 11r)

Cod-257_001r

Ein Eintrag zu Beginn des Messbuchs Cod. 257 verkündet entsprechend, dass es am 20. Dezember des Jahres 1473 von der Maria-Magdalena-Bruderschaft gekauft wurde und ausschließlich für die Benutzung durch den Offizianten der genannten Bruderschaft bei ihren Gottesdiensten bestimmt sei (fol. 1r). Die Anschaffung scheint zumindest teilweise durch ein Mitglied vorfinanziert worden zu sein: Im Memorienbuch der Bruderschaft ist vermerkt, dass der vormalige Schreinsmeister Goswin van Straelen im Jahr 1474 noch 8 Albus (Weißpfennige) als Restzahlung für den Kauf des Missale erhalten habe.

Cod-257_140r

Bei der offenbar vorgefertigten Handschrift handelt es sich um ein Vollmissale mit den Gebeten, Lesungen und Evangelien für das gesamte Kirchenjahr, also für das Proprium de tempore, Proprium de sanctis sowie für das Commune sanctorum. Es umfasst 360 zweispaltig in gotischer Textualis beschriebene Blätter in 39 x 27 cm Größe. Die Texte der gregorianischen Gesänge sind überwiegend ohne Noten ausgeführt; Ausnahmen gibt es in den besonderen Liturgien der Kar- und Ostertage. Die liturgischen Texte der Osternacht werden unterbrochen vom Präfationenteil und dem eucharistischen Hochgebet (fol. 140r) in etwas größerer Schrift.

Cod-257_216r

Der ornamentale Buchschmuck gliedert das Missale in einer dreistufigen Hierarchie: Die einfacheren Initialen sind als blaue oder rote Lombarden mit Ausläufern in Federzeichnung ausgeführt. An zweiter Stelle stehen Fleuronnée-Initialen, ebenfalls in Rot, Blau oder beiden Farben ausgeführt, zum Teil vor grünem Grund und mit violetter oder roter Federzeichnung geschmückt (hier fol. 216r).

Cod-257_023r

Die dritte Stufe des Buchschmucks bilden die Initialen zum Beginn des Kirchenjahres (fol. 11r) sowie zu den Hochfesten Weihnachten (fol. 23r), Ostern (fol. 148r) und Pfingsten (fol. 168r). Hier wurde auf die bis zu sechszeiligen Fleuronnée-Initialen Blattgold aufgelegt, eine anspruchsvollere vegetabile Ornamentik eingesetzt und der Spaltenrand in die Verzierung mit einbezogen. Dieser Initialstil mit seiner relativ sparsamen Verwendung von kostbaren Materialien, die Art der Ausführung der Rubriken und nicht zuletzt der Schreibstil der Handschrift erinnert sehr an Werke aus dem Fraterhaus am Weidenbach. Mit einiger Sicherheit dürfte die Handschrift also in diesem Skriptorium entstanden sein, das im 15. und 16. Jahrhundert zu den produktivsten Buchwerkstätten in Köln zählte und tatsächlich auch Bücher auf Vorrat anfertigte.

Cod-257_139v

Die einzige figürliche Darstellung in diesem Missale ist ein Kanonbild mit Maria und Johannes zu Seiten des gekreuzigten Christus (fol. 139v). Dieses Blatt ist am Beginn des eucharistischen Hochgebets auf einen separaten Steg geklebt, die Miniatur ist demnach wohl in einer anderen Werkstatt entstanden als der Buchblock. Wegen der Handhaltung Mariens und der reichen Faltendrapierung rückt die Kunsthistorikerin Johanna Gummlich das Bild in die Nähe der Werke Stefan Lochners und seiner Werkstatt. Der aus Meersburg am Bodensee stammende und 1451 in Köln verstorbene Lochner hatte der Kölner Buch- und Tafelmalerei zur Mitte des 15. Jahrhunderts wesentliche neue Impulse gegeben. Das Kanonbild in Cod. 257 aus dem Jahr 1473 steht aber bereits für eine zweite Entwicklungsstufe in der Lochner-Nachfolge: Die Farbigkeit der Gewänder, der eher flache Boden und der einfarbig goldene Hintergrund entsprechen nicht mehr unmittelbar den ursprünglichen Gestaltungselementen der Lochner-Schule.