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Eine Lichtgestalt zur Wintersonnenwende – Die hl. Lucia im Missale Cod. 261

Handschrift des Monats Dezember 2025
Datum:
1. Dez. 2025
Von:
Dr. Harald Horst
Während hierzulande der hl. Nikolaus das vorweihnachtliche Brauchtum dominiert, hat sich in nördlichen Ländern die hl. Lucia von Syrakus als Licht- und Gabenbringerin etabliert. In liturgischen Büchern steht sie schon mal am Beginn eines bestimmten Abschnitts und wird sogar im wichtigsten Gebet der Messe erwähnt - das hat Sankt Nikolaus noch nicht geschafft!
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Zahlreiche Legenden ranken sich um die heilige Lucia (fol. 195r). In Syrakus auf Sizilien geboren, wurde sie um 304 in der Christenverfolgung des römischen Kaisers Diokletian zur Märtyrin, weil ihr zurückgewiesener Bräutigam sie denunziert haben soll. Der Name Lucia bedeutet „die Lichtvolle“ und ist vom lateinischen lux (Licht) abgeleitet. Ihr Festtag am 13. Dezember fiel lange auf die Wintersonnenwende – bis die Gregorianische Kalenderreform von 1582 dieses Ereignis wieder mit dem 25. Dezember gleichsetzte. In der dunkelsten Nacht des Jahres brachte man jedoch Lucia im Alpenraum häufig mit vorchristlichen Dämonengestalten, den Perchten, in Verbindung, während sie in nördlichen Gegenden eher als Lichtbringerin gefeiert wird. Mit einem Kranz aus Kerzen auf dem Kopf soll Lucia Lebensmittel in die Katakomben von Syrakus gebracht haben – diese Erzählung greift das bekannte schwedische Brauchtum des Lichterkranztragens von Mädchen in weißen Gewändern auf.

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Dass die hl. Lucia zu Beginn eines bestimmten Abschnitts des Messbuchs dargestellt wird, ist zwar eher selten, aber nicht ungewöhnlich. Liturgische Bücher sind ja in der Regel in drei große Abschnitte aufgeteilt – den Teil mit den Fest- und Sonntagen des Jahres (Proprium de tempore), den Teil mit den besonderen Heiligenfesten (Proprium de sanctis) und den Teil mit den allgemeinen Formularen für Fest- und Gedenktage (Commune sanctorum). Stets folgen die Texte dabei dem Lauf des Kirchenjahres, das traditionell mit dem 1. Adventssonntag beginnt (fol. 1r). Weil dieser schon mal in den November fallen kann, beginnt der Abschnitt mit den darauf folgenden Heiligenfesten dann meist mit dem hl. Andreas (30. November) – oder eben mit der nächsten Heiligen mit eigenen Texten und Gesängen, der hl. Lucia. (Der hl. Nikolaus, bei aller durch das Brauchtum aufgeladenen Bedeutung, wird am 6. Dezember schlicht als Bischof mit den dafür vorgesehenen allgemeinen Texten gefeiert!)

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Im Missale Cod. 261, das wohl für die Stiftsherren des Kölner Doms hergestellt wurde, beginnt das Proprium de sanctis also mit dem Festtag der hl. Lucia. Dieser Beginn ist doppelt markiert: Zum einen mit der in Rot ausgeführten Überschrift „Incipit de sanctis et primo de sancta Lucia“, zum anderen mit der direkt darunter platzierten Bildinitiale „D“. In der Mitte des Bildes kniet die Heilige in blutrotem Gewand (eine Anspielung auf ihr Martyrium), während ein Henker das Schwert schwingt, mit dem gemäß der Legende ihr Hals durchbohrt worden sei. Die vornehm gekleideten Männer im Hintergrund könnten den Bräutigam darstellen und den Präfekten, der das Todesurteil aussprach. Der Buchstabenkörper in Blau mit weißen Blatt- und Kreisornamenten ist in einen goldgehöhten, blütenverzierten Rahmen mit zackigen Konturen eingebettet. Aus diesen entspringen kleine Ranken mit bunten runden Blüten – eine Form, die sich auch in den anderen Initialen dieses Buches findet, am ähnlichsten in der P-Initiale zum Weihnachtsfest (fol. 16r).

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Die gezackten Formen und weitere Ähnlichkeiten in der Bildgestaltung veranlassten die Kunsthistorikerin Denise Steger 2004, dieses Messbuch aus dem Kölner Dom derselben Schule zuzuschreiben wie das sogenannte Linzer Missale, ein auf das Jahr 1434 datierbares Messbuch der Pfarrei Linz am Rhein. Doch auch die Schrift mit ihren Zierbuchstaben – den blauen und roten Lombarden sowie den schwarz-roten Cadellen – weist eine große Ähnlichkeit in beiden Handschriften auf. Insbesondere die sehr feinen Anstriche an einzelnen Buchstabenelementen der gotischen Textualis formata könnten darauf hinweisen, dass hier derselbe Schreiber tätig war. Die Bildkompositionen orientieren sich dagegen – stärker als im Linzer Missale – am weichen Stil Stefan Lochners, der bis 1451 in Köln tätig war (fol. 127v). Lediglich die in der Lochnerschule verbreiteten Goldranken an den Blatträndern fehlen in der Domhandschrift, so dass man hier vielleicht wirklich von einem früh – um 1440 – zu datierenden Werk ausgehen kann.

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Der Abschnitt mit dem Hochgebet (Canon missae), dem zentralen Teil der katholischen Messfeier, ist in dieser Handschrift durch eine etwas größere Schrift ausgezeichnet und beginnt mit einer eigenen Bildinitiale (fol. 142r). Dargestellt ist eine sogenannte Gregorsmesse: Als Papst Gregor der Große (590-604) an der Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi gezweifelt habe, soll ihm der leibhaftige Christus als Schmerzensmann erschienen sein. Häufig findet sich dieses Motiv in Messbüchern, um den Priester an den Inhalt seines Tuns zu erinnern. Übrigens wird einige Seiten weiter, bei den abschließenden Fürbitten (Interzessionen) des Hochgebets, unter den Aposteln und Märtyrern auch der hl. Lucia gedacht (fol. 144v). Umgeben von Agatha, Agnes und drei weiteren Märtyrinnen ist sie damit eine der wenigen weiblichen Heiligen, die es in diesen frühen und zentralen christlichen Text geschafft haben.